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Antwortbrief des Präsident des Bundesverfassungsgerichts a. D.

 

 

INSTITUT FÜR ÖFFENTLICHES RECHT

7800 FREIBURG I. BR., den 15.07.87

A L B E RT - L U D W I G S - U N I V E R S I T Ä T

Prof. Dr. Ernst Benda Belfortstrasse 20 Tel.: (0761) 203 - 4402/4403

Herrn Dipl.-Hdl. OStR

Klaus Westensee

Neue Str. 13

2240 Ostrohe

 

Sehr geehrter Herr Westensee,

leider komme ich erst jetzt dazu, Ihr freundliches Schreiben vom 29.06.87 zu beantworten. Ich habe Ihre Ausführungen mit Interesse gelesen, glaube allerdings im Ergebnis nicht, dass eine realistische Chance auf Durchsetzung Ihrer Vorstellungen besteht. Sie schreiben selbst mit Recht, dass es kaum vorstellbar ist, dass im politischen Bereich Ihre Vorstellungen durchsetzbar sind. Der von Ihnen skizzierte Weg über eine verfassungsrechtliche Überprüfung des gegenwärtigen Wahlrechts scheidet jedoch schon deswegen aus, weil das Grundgesetz hinsichtlich des Wahlsystems nur die Grundprinzipien der freien, gleichen und geheimen Wahl festlegt. Das Wahlsystem selbst steht zur Entscheidung des einfachen Gesetzgebers. Auch aus den Gedanken der parlamentarischen Demokratie und der Souveränität des Volkes sowie der Stellung der politischen Parteien in der Verfassungsordnung folgt nicht, dass ihre Vorstellungen verfassungsrechtlich geboten sind. Die verfassungsmäßige Ordnung ermöglicht vielleicht, ohne dass ich dies ohne nähere Prüfung abschließend beurteilen kann, eine Änderung des Wahlverfahrens in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne. Keinesfalls wird man aber sagen können, dass eine solche Änderung verfassungsrechtlich geboten ist.

Hiervon abgesehen, habe ich sehr erhebliche Bedenken gegen Ihre Vorschläge. Sie schreiben selbst, dass sie in rechtlicher und gesellschaftspolitischer Hinsicht zunächst geprüft werden müssten. Die Aufstellung von Kandidaten über Landeslisten hat die für die Funktionsfähigkeit des Parlaments sehr wesentliche Aufgabe, dem Parlament fachlich qualifizierte Abgeordnete zuzuführen. Fachleute auf bestimmten Gebieten sind sehr oft in der sog. Parteibasis nicht besonders populär, andererseits sind sie für die parlamentarische Arbeit unentbehrlich. Bei Realisierung Ihrer Vorstellungen würden solche Persönlichkeiten kaum noch eine Chance haben, künftig ins Parlament zu kommen. Man kann sehr darüber streiten, ob die Auswahl der Kandidaten durch die örtlichen Organisationen der beste Weg ist, qualifizierte Abgeordnete in das Parlament zu entsenden. Bei Abwägung aller Gesichtspunkte scheint mir eine Kombination des Prinzips der Direktwahl und eines Listensystems immer noch das relativ beste Mittel zu sein.

Das Kernproblem bezeichnen Sie selbst ganz richtig: Es ist die fehlende Neigung vieler Bürger, sich parteipolitisch zu engagieren, mit der Folge, dass die Parteiorganisationen bei der Aufstellung von Kandidaten lediglich ihre Gesichtspunkte beachten, die mit den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung nicht notwendigerweise identisch sind. Da jedem einzelnen Bürger die Mitarbeit in einer der politischen Parteien offen steht, ist der Vorwurf der Abstinenz jedoch an diesen, nicht an die Parteien zu richten. Das Grundproblem besteht darin, auf welche Weise es gelingen kann, mehr Bürger als bisher für die aktive politische Mitarbeit zu gewinnen. Hierfür tragen gewiss auch die politischen Parteien eine erhebliche Verantwortung, und nicht immer sind sie für den einzelnen Bürger so attraktiv, dass man von ihm eine Mitarbeit erwarten könnte. Gerade wenn bei den politischen Parteien Mängel bestehen, ist die richtige Antwort hierauf jedoch eine um so verstärkte Mitarbeit von Bürgern, die dann auch in der Lage wären, diese Mängel zu beheben. Ohne eine solche verstärkte Bereitschaft zur Mitarbeit würden Ihre Vorstellungen zur Änderung des Wahlsystems darauf hinauslaufen, dass die örtlichen Parteiorganisationen noch mehr als bisher die Möglichkeit hätten, ihre eigenen Interessen bei der Aufstellung von Kandidaten zur Geltung zu bringen. Der von Ihnen angestrebte Erfolg würde damit nicht erreicht werden.

Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich mich auf diese skizzenhaften Darlegungen zu Ihren Vorschlägen beschränke. Da ich keine Chance sehe, Ihre Vorstellungen zu realisieren und gegen diese auch in der Sache erhebliche Bedenken habe, sehe ich gegenwärtig nicht, wie ich Ihnen bei der Verfolgung Ihrer Vorstellungen behilflich sein kann. Ich bedanke mich jedoch erneut für Ihr Interesse und dafür, dass Sie mir Ihre Gedanken dargelegt haben.

Mit freundliche Grüssen

Prof. Dr. Ernst Benda